Freitag, 11. Dezember 2009

Zwischen Kultursministerkonferenz in Bonn und Podiumsdiskussion in Jena

Jena, den 10.12.2009

Der Text ist mit dem Wissen um die Anliegen der Proteste geschrieben und zeigt Parallelen in Argumentationen und Denkstrukturen zwischen der Kultusministerkonferenz und der HRK, die heute gemeinam tagten, und den Teilnehmern der gestrigen Podiumsdiskussion seitens der Universitätsleitung der Friedrich-Schiller-Universität und Vertreter der Thüringer Landesregierung auf. Zu der Podiumsdiskussion hatte das Rektorat geladen, als Reaktion auf die Proteste. Auf der studentischen Seite saßen zwei Menschen für den Bildungsstreik und jeweils ein Mensch für die Fachschaften und den Studierendenrat. Somit verfolgt dieser Text zwei Ziele: die Kritik des heute beschlossenen Papieres der KMK und die Kritik der Redebeiträge der Unileitung und des Staatssekretärs auf der Podiumsdiskussion. Ihre Perspektiven sollen anhand der Ideale und Forderungen der Bildungsstreikenden gespiegelt werden.



Die Kultusministerkonferenz (KMK) tagte heute gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Bonn. Ergebnis war ein Versuch der Beschwichtigung durch einen Akt des inszenierten Eingehens auf die Forderungen der Proteste mittels eines „Eckpunkt-Papieres“. Ein solches Papier unterzeichnet von HRK und KMK ist zunächst nichts weiter als ein Text, eine Bekundung, eine Empfehlung, kein Versprechen, kein Gesetz. Die Medien schreiben dann gerne hoffnunggebend die neuen Studiengänge „werden“ jetzt reformiert, alles „wird“ jetzt besser, die Großen haben etwas „getan“. So ein Papier wird gern geschrieben, um die Opposition zu beruhigen, und leider hat es in der Vergangenheit auch viel zu oft funktioniert. Das wird dieses Mal nicht der Fall sein, da zu viele Augen wach bleiben werden.


Demonstrationen und Blockaden in Bonn

Nach wochenlangen Besetzungen, Demonstrationen, Aktionen und Diskussionen des Bildungsstreikes wurde heute erneut bundesweit zu einer Demonstration in Bonn mobilisiert. Auf der Demonstration (bzw. den Demonstrationen) im nunmehr kühl-nassen Bonn waren über 7ooo – 1oooo Menschen zusammengekommen – die Presse und die Polizei behaupteten wie so oft, es sei nur die Hälfte gewesen. Studierende, SchülerInnen, Azubis, Erwerbslose, Gewerkschaftler und Lehrende artikulierten ihren Protest gegen schlechte Arbeits-, Lern- und Studienbedingungen, gegen die Ökonomisierung der Bildung, gegen die Entdemokratisierung, gegen den fehlenden Willen, mehr Gelder zur Verfügung zu stellen, eine Begrenzung der selbstbestimmten Aneignung von Wissen und gegen die Schranken des Bildungszugangs.

Busse und Bahnen fuhren aus mindestens 30 Städten nach Bonn, auch aus Jena führ ein Bus. Von Berlin aus, wo zeitgleich heute eine Soli-Demo stattfand, fuhren sogar 20 Busse. Aus Mainz kommend legte am Morgen das Bildungsboot mit 250 StudentInnen am Ufer der Brasser an. Auf der Fahrt über Nacht gab es an Bord workshops und Musik von der Band „Doktorjewski“. Zusammen zogen sie dann zur Universität von Bonn.

Zu Demonstration und kreativem Protest unter dem Namen “Kultusminister nachsitzen!” wurde um 13 Uhr geladen, doch insgesamt waren mindestens drei Demos angemeldet. Die Großdemonstration dauerte über zwei Stunden. Am Nachmittag gab es mehreren Blockaden von Straßen (beide Enden der Ahrstraße, Ausgang des Friedhofs Gotenstraße, Kreuzungen Mittelstraße und Albert-Kahn-Weg). Es gelang mindestens zwei Limousinen mit Ministern darin vom Verkehr abzuschneiden und sie tatsächlich nachsitzen zu lassen. Die Polizei hätte zwar gern, hat aber nicht geräumt. Nach Berichte von Demonstranten kam es seitens der Polizei zu Gewalt durch punktuellen Einsatz von Pfefferspray. Über Twitter kamen Nachrichten aus dem Albert-Kahn-Weg herein, in der Polizisten mit Knüppel „auf alles“ hauten und Tränengas einsetzten. Zum Teil mussten Betroffene danach im Krankenhaus behandelt werden. Am frühen Abend war nicht bekannt, wie schwerwiegend die Verletzungen waren. Ein weiterer Post über Twitter schreibt, dass zwei Demo-Clowns festgenommen wurden. Insgesamt jedoch wurde die Demo von vielen TeilnehmerInnen als ruhig, voll guter Stimmung und durch die vielen Menschen als Erfolg wahrgenommen.

Solidarisierungen, Zustimmungen und Vereinnahmungen

Die Demonstration wie die ganze Bewegung seit Wochen wird vor allem durch aktive Studierende, SchülerInnen und Auszubildenden getragen. Doch der Solidarisierungen sind gar viele. Professoren und Lehre, Wissenschaftler und Arbeitsrechter, Bürgerrechtler und viele andere Organisationen stimmen zunehmend der Bewegung zu.

Auch die Gewerkschaftsseite hatte zur Demonstration aufgerufen. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte auf der Kundgebung einen rechtsbindlichen Zugangs zu Masterstudiengängen und sprach sich für ein Bündnis zwischen Lehrenden und Studierenden auf. Außerdem sprechen sich die GEW schon lange für mehr Zeit für Bildung, gegen Verschulung und Verdichtung von Studiengängen, individuelle Förderung aller SchülerInnen, mehr Lehrende und gerechtere Arbeitsbedingungen aus. Die ersten Zugeständnisse von HRK und KMK wertet die GEW als ersten Teilerfolg des Bildungsstreikes. Auch verdi hatte durch Aktionen und logistische Hilfe die Demonstrationen unterstützt, sie sehen die Forderungen der Protestierenden wenig ernst genommen. Verdi tritt für Abschaffung von Studiengebühren und gegen eine Ökonomisierung der Hochschulen und Studienziele ein.

Attac Deutschland und die globalisierungskritische Jugendbewegung Noya unterstützen die Demonstration in Bonn. Der wissenschaftliche Beirat sprach seine Solidarität mit dem Bildungsstreik aus. ["Der Bologna-Prozess und die damit verbundene Ökonomisierung von Bildung sind eindeutig gescheitert. Nun muss ein neuer Gestaltungsprozess beginnen, bei dem die demokratische Teilhabe aller Beteiligten gewährleistet ist. Deshalb sind wir bei den Protesten heute dabei", sagte Max Bank, Vertreter von Noya im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.]

Doch bei aller Zustimmung muss man aufpassen, wer welche Punkte des Protestes unterstützt, versucht sich die Bewegung zu Nutze zu machen und nach ihrem Bild zu formen. Gerade die großen Parteien, die Medien und Landes- sowie Bundesregierung aber auch die HRK und Institutionen wie die HRK, das CHE oder INSM drehen die Forderungen nach besserer Bildung in ihrer eigenen Begrifflichkeit und ihren eigenen neoliberalen Denkmustern herum.

Konservative und neoliberale Perspektiven auf den Protest

Aus konservativen und (neo)liberalen Kreisen werden die Proteste begrüßt, da aus ihrer Perspektive die Bildung des menschlichen Geistes Zeit, weniger Druck und höhere Flexibilität, jedoch steht ihr Ziel absolut konträr zu einem zentralen Kritikpunkt der Streikbewegung: Der menschliche Geist, ein gebildeter Kopf wird von ihnen vor allem als Chance gesehen im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zu bestehen. Bildung und Wissenschaft werden verstanden als eine Produktivkraft. Von daher werden aktuellen Regierungen, aber auch viele Rektoren wohl kaum jemals für eine Verlängerung des Bachelors eintreten, des Bachelors, dessen Name für lange Zeit noch negativ schwingen wird, der nicht einmal in der Wirtschaft anerkannt wird und der an sich schon paradox als Berufsabschluss und Wissenschaftsvorbereitung angelegt ist.

So appellierte z.B. die FDP an die KMK, die Proteste nicht leichtfertig als Klamauk abzutun. Doch lehne sie „weltfremde Maximalforderungen“ ab und schafft es in ihrem begrenzten Denken nicht, gesellschaftliche Strukturen auch nur zu hinterfragen. Außerdem schlägt auch die FDP eine „Entschlackung“ der Studiengänge als Lösung des Drucks im Studium vor. „Entschlackung“ scheint das große Wort der Reformvorschläge von Politikern von FDP, CDU und SPD aber auch von Rektoren und anderen 'Experten' zu sein. Sie argumentieren, das Problem sei nicht die Kürze der Zeit sondern das Gleichbleiben der Inhalte der vormals zwei Jahre längeren Studiengänge. Eine treffende Antwort darauf, wurde auf der 'Vollversammlung' an der FSU am 25.11.2009 von einem Studenten auf eine enstprechende Äußerung von Mario Voigt (CDU), dem amtierenden Vorsitzenden des Thüringer Landtagsausschusses für Bildung, Wissenschaft und Forschung, entgegnet: „Bitte nicht noch weniger Inhalte!“

Bildung und Wissenschaft im globalen Wettbewerb

Margret Wintermantel, die Präsidentin der HRK und damit sicher gut mit Rektor Klaus Dicke bekannt, sprach offen aus, was das Ziel von besseren Studienbedingungen sei: „Es geht hier um die Zukunftsfähigkeit des Landes. Wir sind daran interessiert, dass die Studenten ein qualitätsvolles Studium absolvieren können.“ Eine Fixierung auf Konkurrenz zwischen Hochschulen und internationalen Wettbewerbs scheint auch im Rektorat der FSU Jena ein Ausgangspunkt ihrer Meinungen und Entscheidungen zu sein. Studiengebühren befürworte der Prorektor für Lehre und Struktur Kurt-Dieter Koschmieder zwar nicht direkt, aber sie brächten doch einen erheblichen finanziellen Vorteil gegenüber anderen Universitäten, so sagte er zum einen im Pressegespräch am Dienstag (mit dem Zusatz, dies nicht unbedingt so groß in der Presse haben zu wollen).

Ein Hinweis auf dem Blick von Rektor Dicke gibt auch einem Text von 2004 mit dem Titel „Die Universität im globalen Wettbewerb“. Ein Mehr an Investitionen in Wissenschaft und Forschung wird gefordert, um den „Aufbau und Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit der Universität“ zu forcieren. Auf harrsche Kritik seitens des Bildungsstreikes müsste wohl folgende Passage stoßen: „Gerade Deutschland ist auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, Globalisierung als Chance zu begreifen. Das gilt auch und gerade für die Universität, von der eine Neubesinnung auf ihren Geist, d.h. auf ihre Produktiv- und Wettbewerbskräfte zu fordern ist.“

Den Protestierenden geht es nicht um eine Zukunftsfähigkeit des Landes im Sinne eines erfolgreichen Bestehens und Durchsetzen in einem globalen wirtschaftlichen Wettbewerb, als vielmehr um den menschlichen Geist als solchen und als Grund für eine gerechtere, lebensfreundlichere Welt und um Werte wie Demokratie und Gleichberechtigung an sich.

Praktische Kritik erwünscht aber bitte keine Gesellschaftskritik

Die praktischen Vorschläge des Protestes könnten sie gut gebrauchen, sagen die Vertreter der vergangenen Hochschulreformen, die immer wieder beteuern, dass sie doch nichts tun könnten, die Bologna-Reform musste nun einmal umgesetzt werden. Auch die Unileitung Jena sieht sich als Versuchskaninchen, die Auflagen der Politik zur Umsetzung des Bachelor-/Master-Systems aber zugleich keine Vorgaben, Konzepte und Erfahrungsberichte hätten- vielleicht griff man daher so gerne zurück vo Empfehlungen von Bertelsmann (CHE) und INSM. Ja und selbst wenn diese Machtlosigkeit so ist, wo waren denn die Rektoren und was hat denn die HRK gemacht bis und seit 1999, als der Bologna-Prozess auf Papier gebracht wurde. Dieses Papier war eine Verabredung von europäischen Regierungen und ist nicht (!) einmal rechtlich bindend. Und die HRK stimmte in den Chor der internationalen Flexibilität und Effektivierung der Wissenschaft mit ein und erhob die Bologna-Prozess zum Götzen der modernen Bildung. Umso besser, sagen sie, wenn sie von den Studierenden die „Empirie“ bekämen, die sie zur Evaluierung und besseren Akkreditierung von Studiengängen, und um die Bologna-Reform zu einem Erfolg zu führen (O-Ton Rektor Klaus Dicke), brauchen.

Auch Margaret Wintermantel sprach nach der KMK ihr Angebot zum Dialog mit den Studenten mit den selben Implikationen aus: „Wir brauchen auch die Erfahrungen der Studenten.“ Es zählt ihnen scheinbar weniger die demokratische Mitbestimmung aller Beteiligten als vielmehr die Nutzung der studentischen Erfahrung zur Umsetzung der Reform, die nach den Behauptungen auch seitens der Unileitung auf der Podiumsdiskussion gestern als das Ziel der Universiät ansehen, obgleich sie selbst als einen Grund für die Umsetzungsschwierigkeiten ihre eigene zu geringe Überzeugungskraft und die zu kleine „Flamme für die Reform“ (Pressegespräch am Dienstag) bei den Beteiligten der Hochschule nannten. Doch eine demokratische Diskussion aller Beteiligten, nicht nur der Professoren und einzelner Studentenverterter, hätte wohlmöglich die Ablehnung der Bologna-Ziele führen können.

Wenn es also um nützliche Kritikpunkte geht, dann sind sie ihnen willkommen. Doch diese „weltfremden“ Gedanken des Protestes kann man in konservativen und neoliberalen Kreisen nicht gebrauchen. Es sei keine Aufgabe der Hochschulen, Gesellschaftskritik zu betreiben, so Rektor Dicke gestern auf der Podiumsdiskussion. Man hört schon, wie die Argumentation weiter geht: Das sei Sache der Politik. Politik müsse natürlich in den Gremien ablaufen, Protest sei zwar nicht verkehrt, doch die Arbeit sollten schon die gewählten, die „demokratisch legitimierten Vertreter“ übernehmen. „So sprechen Sie doch mit den Vertretern, kommen Sie herein in die Gremien, holen Sie sich ein Amt, dann unterhalte ich mich auch mit Ihnen.“ So ungefähr könnte man zugespitzt das Demokratieverständnis beschreiben, welches leider auch vehement von FSU-Rektor Klaus Dicke und dem Thüringer Wissenschaftsstaatsekretär Thomas Deufel auf der gestrigen Podiumsdiskussion vertraten. Neue Formen der Demokratie, wie sie die Protestierenden anregen und fordern, seien nicht effizient oder effektiv, man müsse zielorientiert arbeiten, da könne man nun mal nicht alle einbeziehen. Überhaupt seien ja an allen Prozessen studentische Vertreter beteiligt gewesen (ja 3 oder 4).

Sogar Klaus Dicke gab auf der Podiumsdiskussion zu, dass er und die Streikenden ein vollkommen unterschiedliches, miteinander unvereinbares Demokratieverständnis hätten. Demokratisch legitimiert sind nach dem Herrn Dicke nur gewählte Vertreter, alle anderen werden als politische Stimme nicht anerkannt. Ein solch begrenztes Vorstellungsvermögen in Sachen Demokratie erwartet man von einem Politikwissenschaftler mit guten Kenntnissen in politischer Ideengeschichte nicht. Doch zu so einer Haltung kommt man wohl, wenn man in so undemokratischen Gremien wie dem Rektorat oder der HRK an der Spitze sitzt. Es bringe doch nichts, sich über Demokratie zu unterhalten, so auch Staatssekretär Deufel. Und dann – wieder Herr Dicke – noch diese ganze Kapitalismuskritik, man könne nicht erst den ganzen Kapitalismus abschaffen.

Doch zurück zu KMK und HRK – den „demokratischen“ Gremien

In der Überschrift der heutigen Pressemitteilung der HRK hieß es „Kultusministerium und Hochschulrektorenkonferenz handeln zusammen!“ Gemeinsam sind wir stark, scheint das Motto zu sein, denn eine Protestbewegung ist noch stärker. Gemeinsam trete man dafür ein, dass nicht mehr als eine Prüfung pro Modul durchgeführt werde, dass es ein „realistisches und vertretbares Maß“ an Belastung für Studierenden gebe, dass Prüfungsleistungen unter Hochschulen anerkannt würden und dass das Studium flexibilisiert werde. Außerdem wolle man versuchen, die 10 % des BIP für Bildung zu erreichen.

Abgesehen von der fehlenden Verbindlichkeit des Papieres: Die Punkte, über die sich KMK und HRK in ihrem Tagunssaal geeinigt haben, umfassen weder wesentliche bundesweit artikulierten Forderungen und Vorschläge, noch kann man sich mit den einzelnen Punkten so leicht zufrieden geben.

Kritik am Reformpapier der KMK und HRK

Die festgehaltene Verminderung von Prüfungen ist an sich stark zu begrüßen. Statt Prüfungen sollten wissenschaftliche Arbeiten wie Referate, Diskussionen, Essays, Forschungen und Forschungsberichte sowie längere Schriften Grundlage des Studiums sein. Doch fehlt im Papier leider die Bewertung bestimmter Prüfungsarten. Eine Forderung des Jenaer Bildungsstreikes z.B. ist die Abschaffung von Multiple-Choice-Klausuren, die nicht eigenständiges Denken und Anwenden fordern sondern nur die Fähigkeit, auswendig zu lernen, noch ein bisschen logisches Denken und Kreuzschen setzen.

Des Weiteren sollen die starren Regelungen zu dem 6-semestrigen Bachelor zugunsten einer „durchgängigeren“ und „flexibleren“ Gestaltung des Studiums zum Master verändert werden. Die Gesamtzahl von 10 Semestern solle jedoch bleiben. So wird der strikten Zeitzwang eines Studiums, reproduziert. Es gibt unzählige Gründe, warum Menschen länger als fünf Jahre für ein Studium brauchen oder wollen. Man erinnere nochmals daran, dass bis in die 6oer Jahre nicht einmal Regelstudienzeiten in Hochschulen in Deutschland existierten. Damals wie in den vergangenen Jahren der schrittweisen Begrenzung der Studiendauer waren es wirtschaftliche Interessen und zum Teil auch finanzielle Situationen, die zu den gesetzlichen Veränderungen motivierten.

Die Zulassung zum Masterstudium kann nach dem Bekunden der KMK heute weiterhin von den Hochschulen „zur Qualitätssicherung“ oder aus Kapazitätsgründen beschränkt werden. Wenn denn eine wissenschaftliche Ausbildung die „Qualität“ der Lehre gefährdet, sollte man da lieber nicht anders herum denken, nämlich wie die Bedingungen von Arbeitsverhältnissen und die Zahl der Lehrenden vergrößert werden kann. Doch leider zeigen sich Politiker selten kreativ bezüglich der Konzeption der Gesellschaft und der Verteilung von Geldern. Also weiterhin für die meisten ein minderqualitatives Bachelor-Studium.

Studiengebühren, Ökonomisierung – keine Themen

Über die Abschaffung von Studiengebühren hatte man heute auf der KMK gar nicht erst gesprochen, zumindest nicht in Pressemitteilungen, dem Papier oder Interviews. Was sollen sie auch sagen? In ihrer Wahrnehmung von und Bedeutungszuschreibung des internationalien Wettbewerbs, um Macht, um Profit und Rendite, um Medaillien und um wissenschaftliche 'Leistung' sind Studiengebühren vorteilverschaffende Instrumente.

Der ein oder andere Sozialdemokrat wie auch Wissenschaftsstaatssekretär Thomas Deufel, der auf der gestrigen Podiumsdiskussion Langzeitstudiengebühren rechtfertigte, sieht in Langzeitstudiengebühren einen Akt sozialer Gerechtigkeit, da es ja die Besserverdienenden sind, die studieren. Ähnlich argumentiert wird von manchen auch gerne in Bezug auf Studiengebühren allgemein. Es ist fast ein ehrenwerter gesellschaftsgerechter Gedanke, wäre da nicht die Realität: Selbst für viele der mittelmäßig 'wohlständischen' Familien sind Studiengebühren eine starke Belastung bis eine Hürde, und für StudentInnen ohne elterliche Unterstützung und für die vielen Geringverdienern machen die Kosten das Studieren nahezu unmöglich.

Kritik an der Ökonomisierung der Hochschulen – zunehmender Einfluss der Wirtschaft auf die Forschung, Abhängigkeit von Drittmitteln, unternehmens- und marktähnliche Konzeption von Hochschulen und Wissenschaft (Stichworte: Hochschulrat, Dienstleistung, Service, Nachfrage und Angebot, internationale Konkurrenz, Ranking, Verwertbarkeit von Wissenschaft, usw.) - scheint bei der KMK und der HRK kaum anzukommen oder verstanden zu werden. Äußerungen zu dieser Problematik gab es von ihnen heute keine.

Rektor Dicke selbst versuchte auf der Podiumsdiskussion auch die Vorwürfe der Unterstützung einer Ökonomisierung zurückzuweisen. Nach ihm finde ein Einfluss der Wirtschaft allein in der Auftragsforschung statt, Drittmittel per se seien kein Problem, sondern eine Notwendigkeit und eine Hilfe, und im Unirat würden ja nur zwei Vertreter aus der Wirtschaft sitzen (was zwar stimmt: aber dass es ausgerechnet ein ehemaliger Vorstandsvorsitzende von Carl Zeiss und ein Vorstandsmitglied von Siemens sein muss...). Auf die von den BesetzerInnen formulierten Kritik am Universitäts als undemokratischen Gremium (keine Studenten und Dozenten mit Stimmrecht) und als Instrument der Beschneidung der Autonomie wegen der 2/3 Besetzung durch Externe, entgegnete Klaus Dicke, der Rat entscheide ohnehin nichts. Zwar ist der Unirat tatsächlich mit wenigen Kompetenzen bestückt, doch sein Einfluss Management, Personalfragen und Grundfragen, sollte nicht unterschätzt werden.

Auf Seiten der Streikenden wurde aud der Podiumsdiskussion zudem kritisiert, dass man die Hochschule zunehmend als Unternehmen und Wissenschaft als Markt betrachtet und organisiert, was man an Worten und Konzeptionen wie Wissenschaftsmarkt, Bedarf und Nachfrage und Qualitätsmanagement bemerken könne. Daraufhin entgegnete Klaus Dicke mitten im Wort zuversichtlich und energisch, er sei immer gegen das Qualitätsmanagement gewesen. Ein Blick in seine Gedanken bezüglich der Qualitässteuerung gewährt die Podiumsdiskussion 2006 der HRK zum Thema, wo sich zeigt, dass die Behauptung wohl so nicht ganz richtig ist

„Wir haben eine ganze Reihe von Verfahren und Beurteilungsmaßstäben [...], die man anwenden kann. [...] wo es angewendet wird? Das ist die Mittelverteilung in der Forschung; das ist aber auch jedes einzelne Berufungsverfahren. Als Element der Qualitätssteuerung würde ich die Berufungsverfahren immer an erster Stelle nennen.“ Qualitätsmessung (Evaluierung) findet zumeist quantitativ statt, doch wenn Gelderverteilung und Stellenbesetzung von Mengen an Publikationen, Zitationen, positiven Bewertungen abhängen, erhöht sich sowohl objektiv als auch subjektiv der Druck auf Lehrende und Forschende. Das ist seit Jahren bekannt, zumindest in den Instituten. Über die Akkreditierung von Studiengängen gibt der Beitrag einen weiteren interessanten Hinweis:

„[...] wir müssen uns gerade in den Spitzenbereichen daran orientieren, was an neuen Fächern und neuen Fächerkombinationen auf dem Markt angeboten werden kann. Da müssen wir uns an den Standards orientieren, die nun eben der Berufsmarkt abfragt. Auch der ist weitgehend ein europäischer.“ Wenn das die primären Handlungsmaximen der Unileitung zu sein, fragt man sich, wie sie nur zu dem Schluss kommen können, Einfluss könne die Wirtschaft nur durch Auftragsforschungen nehmen.

Nicht nur diese sensiblen Prozesse der Ökonomisierung werden auch durch HRK und Regierungen kaum reflektiert. Weitere zentrale Themen der Bildungsstreikbewegung wie Abschaffung von prekären Arbeitsverhältnissen und geringen Bezahlungen, oder die Ausweitung der demokratischen Mitbestimmung von Studierenden und Angestellten WissenschaftlerInnen, sind anscheinend bei der KMK und der HRK kaum der Rede wert.

Was dieser Tag brachte

In einem fulminanten Satz aus der heutigen Pressemitteilung der HRK zeigen die 'Entscheidungsträger' ihre 'Gutmütigkeit' und ihr demokratisches Verständnis: „Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz haben damit Kritikpunkte der Studierenden zum Bologna-Prozess aufgenommen und Entscheidungen getroffen. Sie sind der Auffassung, dass es an der Zeit ist, wieder zu einem geregelten Studienbetrieb überzugehen.“ Dieser Satz sagt wohl nochmals auf das Deutlichste, wie demokratisch unsere „demokratisch gewählten Vertreter“ so sind. Wir haben doch getan, was ihr wolltet, jetzt seid wieder still. Nein, das werden wir nicht! Denn zu Vieles fehlt und getan wurde heute nichts.

Naja, was sagt uns dieser Tag? Der Bildungsstreik zeigt auf jeden Fall Wirkung, als Erfolg kann man dieses Papier zwar nicht direkt verbuchen, dazu muss mehr passieren. Aber indirekt sind diese Reaktionen dennoch ein Erfolg. Zeigt doch dieses Beschwichtigungspapier, dass die Kultusminister und die Rektoren Angst haben. Angst, dass die Bewegung noch stärker wird, dass sie noch energischer auf die Behebung der gesellschaftliche und kulturelle Ursachen der Probleme pocht. Vielleicht auch haben sie Angst, dass sich die Studierenden und die SchülerInnen weiterhin mit ihren Lehrern und DozentInnen verbünden oder gar, wie heute auf der Demonstration bereits geschehen, mit Arbeitern und Erwerbslosen. Doch diesen Prozess wird niemand mehr aufhalten können. Die Dozierenden und LehrerInnen brauchen sich nicht mehr mit ihrer Kritik verstecken, dazu haben sie mittlerweile zu viele, die ihnen den Rücken stärken werden.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan lädt übrigens zu einem Bologna-Gipfel im April ein. Bis dahin könnte sogar dieses Papiere umgesetzt und weitere Schritte gegangen werden. Die Inhalte der Protestierenden müssen weiterhin klar formuliert und artikuliert werden, die Gedanken und Ideen müssen noch mehr in der Öffentlichkeit verbreitet und diskutiert werden und die politischen Prozesse wachsam beobachtet und deutlich kommentiert werden. April ist wohl eine gute Zeit, um die Bildungskritik erneut auf die Straße zu tragen, denn die heute auf Papier geschriebenen Stoßrichtungen sind nicht genug und bei der Unileitung Jena stößt man bei manchen Anliegen wohl weiterhin auf Granit. Mit kleinen Zugeständnissen kann man sich nicht zufrieden geben, wenn die Probleme an der Wurzel (radix – radikal) zu packen sind.

KMK-Vorsitzende Henry Tesch (CDU) und HRK-Vorsitzende Margaret Wintermantel betonten ähnlich den sich offen zeigenden führenden Amtsträger der gestrigen Jenaer Podiumsdiskussion die Notwendigkeit für Zusammenarbeit mit den Studierenden und bekundeten ihren Glaube daran, „gemeinsame tragfähige Lösungen“ zu finden. Die Bildungsstreikbewegung muss nun sehr aufpassen, dass die 'emsigen' Leitorgane von Bund, Land und Hochschule nicht wieder nur mit wenigen StudentInnen aus den Gremien arbeiten und weiterhin eine viel zu herausragende Rolle spielen. Es gilt den Dialog zwischen Studierenden und zwischen Studierenden und Dozierenden zu forcieren, ein Dialog der nicht durch Gremienzugehörigkeit begrenzt sein darf. Die Energie des Protestes muss in eine positive Kraft der Aktionen, Diskussionen und Gedanken umgewandelt werden. Wir können die Arbeit nicht mehr länger „denen da oben“ überlassen, ihre Verbindungen zu Seilschaften und ihre geteilten Weltbilder werden kaum das Denken und Verstehen ermöglichen, was von Protestierenden seit Jahren artikuliert wird.


Quellen:

HRK Pressemitteilung 10.12.

Focus am 10.12.

Radio-Utopie über die KMK am 10.12.

FDP Pressemitteilung 10.12.

GEW Pressemitteilung 10.12.

Solidaritätserklärung des Wissenschaftlichen Beirates von Attac

Aufruf zur Demonstration in Bonn zur Kultusministerkonferenz

Ein Bericht von der Demo

Seite zur KMK-Demo in Bonn

Fotos von der Demo

Klaus Dicke: „Die Universität im globalen Wettbewerb“ im GEW-Reader zur 13. Landeshochschulkonferenz. Thüringer Hochschulen im Strudel der Finanzmisere. Erfurt 2005. S. 29-33.

Klaus Dicke: Redebeiträge zur Podiumsdiskussion „Von der Qualitätssicherung der Lehre zur Qualitätsentwicklung als Prinzip der Hochschulsteuerung – eine Standortbestimmung“. In: HRK - Beiträge zur Hochschulpolitik 12/2007Qualitätsorientierte Hochschulsteuerung und externe Standards. Beiträge zu einer Veranstaltung des Projekts Qualitätssicherung der Hochschulrektorenkonferenz am 2./3.11.2006 in Bonn.

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